VERGESSEN IM HARZ – Lost Place Dokumentarfilm

354%
  • Zielsumme: 8.000
  • Funding: 28.321
  • Supporter: 762
  • Daten aktualisiert am 08.05.15
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Enno Seifried, Foto by Anne Schädel
Enno Seifried (Foto: Anne Schädel)

“Ich halte Crowdfunding für ein wirklich grandioses Finanzierungsmodel. Die Leute können selber entscheiden, was sie sehen, hören und riechen wollen.” – (Enno Seifried)

Ein Gespräch mit Enno Seifried über Crowdfunding für den Dokumentarfilm

Crowdfunding eignet sich wunderbar, um neue und innovativ gedachte Konzepte Wirklichkeit werden zu lassen. Crowdfunding heißt unter anderem, Geld ist prinzipiell da, aber die Verteilung muss gut gewählt werden. Dazu kommt die Crowd ins Spiel, sie übernimmt die Entscheidung und auch das Risiko.

Wenn etwas neu und innovativ ist, verspricht das nicht nur Spannung, sondern auch Überraschung. Tatsächlich ist unklar, ob das gewünschte Ergebnis am Ende wirklich steht. Klappt es nicht, trägt die finanzielle Last nicht einer oder ein paar Wenige, sondern ist verteilt über sehr vielen kleinen Häppchen auf viele Schultern.

Was aber passiert danach? Crowdfunding eignet sich für den Start, aber Ist Crowdfunding als Finanzierungsweg für eine Idee oder ein Produkt auch wiederholbar?

Die Lost Place Dokumentarfilmemacher aus Leipzig zeigen ganz praktisch, dass es geht. Der erste Teil “Geschichten hinter vergessenen Mauern – Lost Places Storys aus Leipzig” wurde von 356 Unterstützern und 12.000 Euro mitfinanziert. Dem ersten Teil folgten zwei weitere, im Ergebnis eine Leipziger Trilogie und jeweils über Crowdfunding finanziert. Der vierte Film “Vergessen im Harz” ist jetzt crowdfinanziert, mittlerweile 762 Unterstützerinnen und Unterstützern haben zusammen über 28.000 € in einen Topf gelegt.

Es funktioniert also und nicht nur das, es wird sogar immer besser. Steffen Peschel sprach mit Enno Seifried über die Entstehung der Lost Places Reihe und natürlich über Crowdfunding.

Steffen: Hallo Enno, Du bist Teil oder sogar der Kopf des eben vorgestellten Dokumentarfilmteams. Wenn man nach Dir recherchiert bekommt man das Gefühlt, Dich kennen irgendwie alle. Für die, die Dich dennoch nicht kennen, stell Dich doch bitte einmal kurz vor. Wer bist Du und was machst Du?

Enno: Nun ja, ich bin 1978 in Leipzig geboren, hab eine wundervoll chaotische Jugend im Nachwendezeitalter verbracht. Von 1997 bis 1999 hab ich ohne Ausbildung eine Job in einem Kinder- und Jugendtheater bekommen wo ich für die technische Betreuung und Bühnenbildmalerei verantwortlich war. Nach dieser Zeit reiste ich ein paar Monate über den Nordamerikanischen Kontinent. Dieser Leidenschaft ergeben folgte 2006 eine mehrmonatige Reise durch Mexiko, woraus mit Kameramann und Freund Tony Nowak der Reisebericht “Mexiko … Wo Menschen Adlern folgen” entstand, ein Fußmarsch quer durch Polen bis zur Weißrussischen Grenze und eine Caminotour über 3000 Kilometer mit dem Rad.

Anschließend hab ich unter der Leitung von Tilo Esche, je nach Auftragslage als Videokünstler und Komponist bei „Unternehmen Bühne“ gearbeitet.Vorher hatte ich noch mein Fachabi Richtung Gestaltung absolviert, was mir allerdings im Nachinein sehr sinnlos vorkam und mich ebenso angestrengt wie gelangweilt hat, wie schon die ersten 10 Jahre Schulzeit.

Seit 2007 hab ich mich als freischaffender Künstler im Bereich Film und Musik gemeldet, und hab für das „Centraltheater Leipzig“, die „WLB Esslingen“, das „Theater Regensburg“, das “Theater für Niedersachsen” sowie für diverse Off-Theater gearbeitet.

Als jugendlicher bei illegalen Technopartys hat es begonnen und noch heute interessiere ich mich für verlassene Orte und deren Hintergründe und unternehme ständig Touren zu so genannten Lost Places. Aus diesen Aktivitäten entstand auch die Idee zu den Regiearbeiten, der Dokumentarfilmreihe „Geschichten hinter vergessenen Mauern“ welche zwischen 2011 und 2015 produziert wurde. Gerade aktuell ist das Dokumentarfilmprojekt VERGESSEN IM HARZ.

Ob das jetzt die Frage beantwortet wer ich bin, weiß ich nicht. Oft höre ich, wie Menschen bemüht sind zu sich selbst zu finden oder heraus zu finden wer sie sind. Ich mach mir lieber Gedanken darüber wie ich leben, wie ich meine Zeit möglichst sinnvoll, glücklich und mit so wenig Zwängen wie möglich verbringen kann. Und da schau ich lieber gerade aus, nach links und nach rechts. Also lieber aus mir heraus, als in mein Inneres. Und da fällt mir doch gleich noch ein tolles Zitat von Bruce Lee ein: “Nimm an, was nützlich ist. Lass weg, was unnütz ist. Und füge das hinzu, was dein Eigenes ist. Das wichtigste im Leben ist die Zeit. Leben heißt, mit der Zeit richtig umgehen.”

Steffen: Fangen wir mal von vorn an. War “Geschichten hinter vergessenen Mauern” eure ersten Dokumentationen oder gab es da schon Erfahrungen?

Enno: Ich hatte schon Erfahrung mit Video, Fotografie und diversen Multimediaanwendungen. Im Bereich Dokumentarfilm war es die erste Arbeit. Allerdings brachten die anderen Mitglieder des Filmteams ausreichend Erfahrung mit, da sie größtenteils direkt vom Fach kommen. In meiner anfänglichen Unerfahrenheit hat mir da das Team an diversen Stellen auch schon mal den Arsch bzw. die Filmpremiere gerettet, wenn ich mit meinem mangelhaften KnowHow nicht weiter kam.

Steffen: Kannst Du Dich noch an Eure ersten Pläne erinnern, wie Ihr auf Euer Projekt aufmerksam machen wolltet? Was für Vorstellungen hattet Ihr ganz am Anfang, um das Crowdfunding publik zu machen und was hat sich dabei im Verlauf der vier Produktionen geändert?

Enno: Die wirklich erste Idee, einen Film zu dem Thema Lost Places zu machen, entstand mit einem Freund, 2010 bei eine Flasche Vodka in meinem WG-Zimmer. Anschließend geisterte mir die Idee noch eine Weile im Kopf herum, bevor 2011 wirklich der erste Schritt getan wurde. Wir fingen an, die verschiedenen Plätze zu filmen und Interviewpartner zu suchen. Irgendwann hatten wir plötzlich eine Menge Material zusammen und es stand fest, dass es nun auch wirklich beendet werden will. Den ersten Film zu machen war also eher ein Reifeprozess, der mehr passierte als geplant war.

Als die ersten Überlegungen kamen, wie man den Film unter das Volk bringt, bin ich von maximal 400 Leuten ausgegangen, die sich vielleicht für den Film interessieren würden. Wie ich damals auf die Zahl gekommen bin weiß ich gar nicht mehr. Ein Mitglied des Teams kam dann mit der Idee eine Crowdfundingaktion zu starten, was mir bis dahin völlig unbekannt war. Ich war skeptisch, sah aber keine andere Möglichkeit, die Veröffentlichung und eine Premiere zu finanzieren und so drehten wir unseren ersten Crowdfundingtrailer.

Die Resonanz auf das Projekt hat uns dann ganz schön umgehauen. Innerhalb von fünf Tagen hatten wir die benötigte Mindestsumme zusammen und schafften es schlussendlich auf über 200 Prozent.
Im Prinzip hat sich im Verlauf der darauf folgenden Produktionen auch nichts geändert, außer, dass ich dem Crowdfunding heute nicht mehr skeptisch, sonder sehr positiv gegenüber stehe. Die Vorgehensweise an sich ist bei jedem Projekt die gleiche. Man macht und werkelt und dann hofft man.

Steffen: Gemessen an der Anzahl der Unterstützer hat das Crowdfunding für “Vergessen im Harz” noch einmal alles getoppt. Mit der Trilogie hattet Ihr bisher einen Fokus auf Leipzig und das Umland und es ist vorstellbar, dass sich das auch in der Community widerspiegelt. Warum hat der Wechsel der Location dennoch oder gerade deshalb so wahnsinnig gut geklappt?

Enno: Ich weiß gar nicht, ob es so viel mit der Leipzig-Trilogie zu tun hat. Natürlich haben wir wirklich treue Unterstützer, die immer wieder dabei sind und helfen wo sie können. Wenn man sich allerdings die Unterstützerliste des Crowdfundingprojektes “Vergessen im Harz” anschaut, sind das in der Tat größtenteils Leute aus der Harzregion. Wahrscheinlich haben wir einfach den richtigen Nerv getroffen und die Menschen der Region an der richtigen Stelle abgeholt. Ganz ehrlich, wir hatten keinen Plan wie das läuft, wenn wir mit unserem Thema die Region wechseln. Als wir nach 12 Stunden die 100%-Marke geknackt haben wussten wir vor Schreck gar nicht wie wir reagieren sollten. Das war echt unglaublich.

Steffen: Wie weit plant ihr im Vorraus? Zwischen den Crowdfunding Kampagnen liegen zwar jeweils circa ein Jahr, aber wenn man Euch im Pitchvideo so erzählen hört, bekommt man den Eindruck, Ihr seid direkt nach der letzten Filmpremieren wieder raus für die Recherche und wusstet bereits genau wonach ihr sucht. Hast du jetzt schon einen Plan, was wir im Frühjahr 2016 wieder mit möglich machen werden?

Enno: Das Harzprojekt stand in der Tat schon lange fest bevor die Premiere des dritten Teils der Leipzig-Trilogie an den Start ging. Da waren wir schon einige Zeit am recherchieren und drehen. Allerdings bin ich überhaupt kein Fan davon, mit einem Projekt oder einer neuen Idee an die “Öffentlichkeit” zu gehen, bevor es nicht absolut sicher, oder noch besser schon abgeschlossen ist. Das ist auch der Grund warum wir unsere Crowdfundingaktionen immer erst starten, wenn die Produktion des Filmes soweit fertig ist, das einer Veröffentlichung außer der finanziellen Mittel nichts mehr im Weg steht. Pläne und Visionen zu verbreiten, ohne die Sicherheit, dass es zumindest nicht an mir persönlich scheitert ist einfach nicht mein Ding. Ich glaube sogar, dass diese Art und Weise einen positiven Einfluss auf unsere Crowd hat. Unsere “Gegenleistungen” liegen immer in greifbarer Ferne. Da reden wir von circa drei Monaten, von Crowdfundingstart bis zur Beendigung des kompletten Projektes. Das heißt, ich denke, dass die Leute viel eher bereit sind ein Projekt zu unterstützen, welches schon fortgeschritten ist, wo sie selber auch wissen, dass es nur noch an Ihrer Unterstützung liegt, ob das Projekt erfolgreich beendet werden kann oder nicht.

Ich glaube, wenn ein unbekanntes Projekt gerade erst in der Planung ist und der Unterstützer, wenn alles gut läuft in einem Jahr mit seiner Gegenleistung rechnen kann, ist es schwer ihn zu begeistern oder zu überzeugen. Da entsteht eher das Gefühl: “Naja, warten wir mal ab, was daraus wird. Wenn das Ding in einem Jahr draußen ist, kann ich es immer noch unterstützen.” Das sind übrigens Erfahrungswerte, denn auch wir bekommen oft Mails, in denen so etwas steht wie: “Ach so, die DVD gibt es erst in zwei Monaten. Na dann warte ich noch und bestelle sie dann.”
Ich weiß, dass es auch andere Beispiele gibt, aber prinzipiell würde ich sagen, steht Crowdfunding in Deutschland noch am Anfang. Zumindest was den Vergleich mit anderen Ländern angeht. Klar hört man ständig die Erfolgsmeldungen der Plattformen und gefundeten Projektinitiatoren, aber machen wir uns nichts vor … ;)

Steffen: Gibt es eine Grenze oder irgendeine Größe, nach der Du nicht mehr mit Crowdfunding arbeiten würdest?

Enno: Nein, die gibt es nicht. Ich halte Crowdfunding für ein wirklich grandioses Finanzierungsmodel. Die Leute können selber entscheiden, was sie sehen, hören und riechen wollen. Wenn sie überzeugt sind unterstützen sie ein Projekt, wenn nicht dann nicht. So weiß der Ideeengeber auch gleich woran er ist und ob es sich lohnt das Projekt weiter zu verfolgen oder nicht. Das ist auch der Grund warum ich der Idee des Crowdfunding schnellstmöglichen Erfolg in Deutschland wünsche. Es muss raus, es muss verbreitet werden, die Leute müssen damit umzugehen wissen, es muss normal werden. Crowfundig ist das perfekte Gegenmodell zur Zwangsabgabe: Man zahlt nicht mit Abscheu für etwas, was man gar nicht will, sondern freiwillig für etwas wovon man überzeugt ist. Einfach genial. Das ist jetzt sicher eine schöne Diskussionsgrundlage mit tausend verschiedenen Meinungen, die gegensätzlicher nicht sein könnten …

Steffen: Am 29.05. findet die Filmpremiere statt, an den zwei Tagen darauf folgen zwei Vorführungen. Die Tickets, die Ihr über die Crowdfunding Kampagne angeboten hattet, sind restlos weg gegangen. Die DVD gibt es zwar auch bei Euch Onlineshop, in einem alten Kino bei der passenden Atmosphäre wirkt das aber sicherlich noch besser. Habt ihr weitere Vorführungen geplant?

Enno: Bis jetzt sind nur Vorführungen in Leipziger Kinos geplant. Am 4. Juni wird die Leipzigpremiere im UT-Connewitz sein. Um die Harz-Region müssen wir uns noch kümmern. In letzter Zeit lag der Fokus erst mal auf der Premiere in der Baumannshöhle, worauf wir uns schon tierisch freuen! :)

Steffen: Vielen Dank für Deine Antworten, Enno, ich wünsche Euch alles Gute für die Premiere!

Enno: Vielen Dank! Ich werde es dem Team ausrichten.

Das Interview führte Steffen Peschel, Kulturmanager und Crowdfunding-Berater aus Dresden und Leipzig.

"Wenn Crowdfunding nicht nur als Schwarmphänomen definiert werden kann, sondern auch als vollwertig agiler Prozess, dann unterstützt Kickstarter genau das besonders gut."- (Steffen Peschel)

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“Da ich selber weiß, wie schwer es ist, heutzutage einen richtigen Plattenvertrag zu bekommen und die Industrie nicht selten komische Bands unter Vertrag nimmt, während wirklich gute Acts außen vorbleiben, finde ich Crowdfunding eine gute Möglichkeit gerade für Musiker ihre Karriere zielgerichtet selbst anzuschieben.” - (Stefan Saffer)

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