heimlich – ein privater Raum im Öffentlichen

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  • Daten aktualisiert am 05.05.15
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Sarah Meinert (Foto: André Matthei)
Sarah Meinert (Foto: André Matthei)

“Ich wurde durch Freunde auf Crowdfunding aufmerksam gemacht, die selbst schon Projekte auf diese Art und Weise finanziert haben. Bei näherer Betrachtung hat mich die Nachhaltigkeit und der kreative Umgang damit überzeugt.” – (Sarah Meinert)

Ein Gespräch mit Sarah Meinert über ihr Crowdfunding-Projekt heimlich

Die Leichtigkeit des Seins? Na vielleicht über Crowdfunding? Steffen Peschel sprach mit Sarah Meinert über das Verhältnis von Öffentlichkeit, privatem Schutzraum und ihr Bauwagen-Projekt.

Steffen: Hallo Sarah, wir kennen uns schon eine ganze Weile, wodurch ich jetzt auch überlegen muss, wie viel privates ich hier öffentlich machen kann. Das betone ich aber nur, weil es schön zum Thema passt. Bevor wir aber dazu kommen, stell Dich doch bitte kurz vor. Wer bist Du und was machst Du?

Sarah: Hallo, ich lebe in Leipzig und studiere Holzgestaltung in Schneeberg. Das klingt erstmal stark nach erzgebirgischer Schnitzkunst, ist aber ein Produktdesign-Studium mit der Materialspezifik Holz. Vor dem Studium habe ich auf der Suche nach meinem Berufswunsch ein Jahr im Theater und ein Jahr auf dem Bauernhof gearbeitet und mich letztlich für eine Tischlerlehre entschieden. Das war die perfekte Wahl, denn seitdem bin ich eine echte Herzblut-Handwerkerin. Das Studium habe ich meinem Gestaltungsdrang zu verdanken und jetzt versuche ich beides zu verbinden – Design und Handwerk. Da ich weder dem einen noch dem anderen Vorrang gebe, ist es manchmal doch ein ziemlicher Kraft-und Organisationsaufwand. Mit heimlich kann ich da aber nochmal gut üben und mich austoben, da das Projekt gleichzeitig meine Abschlussarbeit ist.

Steffen: Du beschäftigst Dich mit dem Privaten im Öffentlichen. Das Projekt heimlich empfinde ich im positivsten Sinne als ein Experiment. Dass wir solche Experimente brauchen, ist für mich mindestens offensichtlich. Vielleicht begreife ich das auch etwas anders als Du, wenn ich beschreibe, dass das Leben zum überwiegenden Teil nur noch zurückgezogen im Privaten statt zu finden scheint und in der Öffentlichkeit nur ein Teil vom ganzen Leben sichtbar ist. Um als Gesellschaft zu funktionieren, brauchen wir aber den öffentlichen Raum und müssen daher auch darauf achten, dass dieser tatsächlich auch für alle zugänglich ist. Wenn der öffentliche Raum aber anstrengend ist und wir uns dem gar nicht so lange aussetzen können, müssen wir mit temporären Rückzugsorten experimentieren. Ist er es? Ist der öffentliche Raum anstrengend?

Sarah: Ich glaube schon, wobei es natürlich immer darauf ankommt, was die jeweilige Person als Öffentlichkeit wahrnimmt. Anstrengend wird es gerade dann, wenn mensch sich einer Öffentlichkeit ausgeliefert sieht, also die negativen Seiten der öffentlichen Sphäre zu spüren bekommt. Sei es durch Überwachung, Kontrolle und Eingriffe von staatlicher Seite oder durch die Beurteilung und Beobachtung der Mitmenschen.

Dass Öffentlichkeit aber auch ganz wunderbare Seiten hat, will ich überhaupt nicht bestreiten. Es finden Begegnungen und Austausch statt, es werden Sichtweisen und Ideen, Lebensstile und Betrachtungsmöglichkeiten eröffnet, die uns sicher nicht erreichen wenn wir zu Hause an die Gardine gucken. Selbst das kann anstrengend sein, auch im positiven Sinne. Meine Annahme, der die heimlich-Idee zu Grunde liegt, ist dass jede Person seine Regenerationsphasen braucht, um sich in der Öffentlichkeit bewegen und bewähren zu können. Damit möchte ich auch keinesfalls den biedermeierlichen Rückzug ins Häusliche zelebrieren, im Gegenteil. Heimlich ist für mich ein künstlerisch-praktischer Beitrag im politischen Diskurs über die Grenzen und Schnittstellen von Öffentlichkeit und Privatheit. Es ist in der Tat ein Experiment, was sagt: Hier ist die Öffentlichkeit, da mittendrin bietet sich ein privater Rückzugsort an. Er hat Fenster und Türen, aber weder Vorgarten noch irgendeine Art von Pufferzone nach draußen. Jetzt könnt ihr selbst entscheiden, wie ihr ihn nutzt, wie privat ihr sein wollt, wo eure persönliche Grenze der Privatheit verläuft und ob ihr jemanden einladet oder euch für eine Weile völlig abschirmt.

Neben dem ganzen praktischen Nutzen des Zur-Ruhe-Kommens und der Regeneration möchte heimlich die Menschen einladen über ihren Umgang mit der Öffentlichkeit nachzudenken und sich ihrer persönlichen Wertschätzung der eigenen Privatheit und der Beachtung der Grenzen anderer bewusst zu werden.

Steffen: Wie bist Du auf die Idee mit dem Bauwagen gekommen?

Sarah: Genauso flexibel und wandelbar, wie die oft sehr subjektive Wahrnehmung von öffentlichen und privaten Bereichen, sollte der Rückzugsort sein. Der Wagen ist im ganz praktischen Sinne eine Metapher. Zum einen für die damit assoziierte Freiheit und Autonomie, die eine im positiven Sinne verstandene Privatheit inne hat, zum anderen für die unstete und nie ganz greifbare Definition von Privatsphäre. Die Grenzziehung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit wird immer wieder aufs Neue verhandelt und ist auch nicht für jede Person gleich. Durch seine Beweglichkeit kann der Wagen auch immer wieder einen neuen Standpunkt einnehmen.

Und dann kommt noch die ganz profane Erklärung dazu, dass ich schon lange einen Faible für Bauwägen und kleine mobile Räume habe. Sie sind, was deren Bewohnung und anderweitige Nutzung anbelangt, immer noch in einer rechtlichen Grauzone und das finde ich extrem sympathisch.

Steffen: Was bietet mir der Bauwagen als Nutzer? Kannst Du mir das anhand eines Beispiels erklären?

Sarah: Neben der Funktion als Ruhe-oder Rückzugsraum kann heimlich auch als Beratungsraum dienen. Ich denke da an die mobile Aufklärungsarbeit der Drug Scouts. Auf Festivals wäre der Wagen ein idealer Ort, um mit Konsument*innen ins Gespräch zu kommen oder ihre Versorgung zu gewährleisten, wenn die Drogendosis zu hoch war. Auch andere Formen der mobilen Beratungsarbeit könnten im heimlich-Wagen stattfinden, denn er bietet den Schutz nach außen und eine sympathische Umgebung.

Generell lässt sich die Inneneinrichtung mit dem Pop-Up-Prinzip ganz individuell gestalten. Wer in der Mittagspause Yoga machen will, findet einen Raum vor, in welchem entspannt die Matte ausgerollt werden kann. Wer sich mit Freunden zum Kartenspielen trifft, klappt den Tisch aus der Wand und die Sitzmöglichkeiten aus dem Boden usw. Der Wagen bietet also die Möglichkeit sich seinen ganz eigenen Raum zu gestalten und verschiedene Funktionen zu entdecken und auf eine sehr persönliche Weise nutzbar zu machen. Denn die Einrichtung möchte nichts vorschreiben, also keine typischen Nutzungsempfehlungen abgeben, wie Esstisch, Arbeitsplatz oder Schlafmöbel. Alle Bedürfnisse gilt es auf eine kreative und variable Art zu befriedigen.

Steffen: Das mit dem Buchungssystem klingt ambitioniert, zumindest wenn Du es mit dem eines Carsharing-Dienstes vergleichst. Bei Teilauto habe ich immerhin einen festen Account, ich habe eine Plastikkarte mit der ich die Fahrzeuge direkt öffnen kann, wenn ich vorher über die Webseite, die App oder über die Telefonhotline das Fahrzeug für die gewünschte Zeit gebucht habe. Das dürfte für das heimlich Projekt schlicht nicht realisierbar sein, oder? Wie also funktioniert das?

Sarah: Ich möchte das Buchungssystem nicht so streng personalisieren, also so wenig wie möglich auf persönliche Daten zurückgreifen. Am liebsten wäre es mir ja, einfach ein Schild an die Türe zu hängen mit „Besetzt“ und „Frei“. Nur ist damit nicht wirklich die Sicherheit des Ungestört-Seins gegeben und mit der Realität abgeglichen muss doch auf Dinge wie Vandalismus und Arten von Missbrauch am Objekt geachtet werden.
Ich plane einen Online-Kalender auf den jede Person nach Anmeldung mit Namen und E-Mail-Adresse zugreifen kann. Wenn eine gewünschte Zeit eingetragen wurde, bekommt die Person einen Code zugeschickt, der an einem Zahlencodeschloss der Tür eingegeben wird und den Wagen für die gebuchte Zeit freischaltet. Da die Nutzung kostenfrei sein soll, hoffe und vertraue ich auf den pfleglichen Umgang mit der Einrichtung. Wie alles an diesem Projekt ist auch das ein Experiment und wird sich erst in der Praxis als tauglich erweisen. Letztendlich muss der Wagen und die Technik ja auch gewartet werden, wobei ich da auf die Vermietung an die Stadt, an Firmen oder Veranstalter*innen baue, die dann sozusagen den Nutzenden den Wagen kostenfrei zur Verfügung stellen. Mit Toilettenhäuschen auf Festivals funktioniert das ja auch, warum also nicht mit einem Rückzugsort.

Steffen: Du bietest als Gegenleistung auch Deine Theoriearbeit zum Thema an. Was erwartet mich dabei und was denkst Du, wer sich die unbedingt durchlesen sollte?

Sarah: In der Theoriearbeit verhandle ich genau dieses schon angesprochene Spannungsfeld zwischen privater und öffentlicher Sphäre, lote deren Grenzen aus und möchte anhand verschiedener soziologischer und philosophischer Sichtweisen herausfinden, was genau wir als so schützenswert an unserer Privatheit finden. Dabei stoße ich immer wieder auf Paradoxien, was das Thema für mich unheimlich divers und vielschichtig macht. Außerdem suche ich nach bereits vorhandenen privaten Räumen in der Öffentlichkeit und unserer Beziehung zu ihnen, wie selbstverständlich wir uns diese Räume erobern und sie verteidigen.

Ich glaube dass dieses Thema für jeden Menschen von Belang ist. Genau wie du schon gesagt hast, funktioniert Gesellschaft nur durch den demokratisierten Zugang des öffentlichen Raumes. Den Zugang zum persönlichen Privatraum bzw. der eigenen Sphäre können wir in den meisten Fällen selbst regulieren. Dieses Zulassen, Verwehren, und Verschieben von Zugängen ist ein alltäglicher, oft unbewusster Prozess, der gesellschaftlichen Normen und persönlichen Wertevorstellungen unterliegt. Jede Person, die sich in der Öffentlichkeit bewegt ist mit den Fragestellungen, die ich in meiner Theoriearbeit heranziehe konfrontiert, zumal es aktuell ein Thema ist, was die Kraft hat sämtliche Gemüter zu erhitzen und schnell zu Debatten über Datenschutz, Überwachung und Internetöffentlichkeit führt. Ganz so weit wird es in der Arbeit nicht gehen, aber generell habe ich keine konkrete Empfehlung für eine bestimmte Zielgruppe. In der ein oder anderen Art und Weise betrifft dieses Thema schließlich jeden Menschen.

Steffen: Wie bist du auf Crowdfunding gekommen und was hat Dich letztlich auch überzeugt es so zu probieren?

Sarah: Ich wurde durch Freunde auf Crowdfunding aufmerksam gemacht, die selbst schon Projekte auf diese Art und Weise finanziert haben. Bei näherer Betrachtung hat mich die Nachhaltigkeit und der kreative Umgang damit überzeugt. Jedes erfolgreich finanzierte Projekt ebnet in gewisser Weise den Weg für folgende.

Crowdfunding kann sehr viel mehr Kräfte bündeln, als eine einzelne oder eine handvoll Personen, die allein vor sich hinmurksen. Allein der solidarische Gedanke, dass aus vielen kleinen Beiträgen ein großes Ganzes entsteht ist überzeugend, zumal die Investitionen risikofrei sind. Nebenbei entwickelt sich ein ganz spezielles, viel intensiveres Verhältnis zwischen Produkt/Projekt und den Konsumierenden oder Nutzenden.

Crowdfunding ist eine noch recht junge Disziplin, was es für konzeptionelle und komplexe Projekte wie heimlich erstmal nicht ganz leicht macht. Deshalb sehe ich es auch als Herausforderung, ich bin immer wieder angehalten meine Idee verständlich zu machen, mit anderen in Austausch zu treten. Dabei eröffnen sich für mich und das Projekt auch verschiedene Sichtweisen. Ich bin mit Fragen konfrontiert, die ich mir selbst nicht gestellt hätte. Das macht das durch Crowdfunding finanzierte Projekt reichhaltiger und substanzieller.

Steffen: Vielen Dank für die ausführliche Beantwortung meiner Fragen!

Das Interview führte Steffen Peschel, Kulturmanager und Crowdfunding-Berater aus Dresden und Leipzig.

“Da ich selber weiß, wie schwer es ist, heutzutage einen richtigen Plattenvertrag zu bekommen und die Industrie nicht selten komische Bands unter Vertrag nimmt, während wirklich gute Acts außen vorbleiben, finde ich Crowdfunding eine gute Möglichkeit gerade für Musiker ihre Karriere zielgerichtet selbst anzuschieben.” - (Stefan Saffer)

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“Und ganz generell bedeutet Crowdfunding halt kommunzieren: Nach außen mit den potentiellen Unterstützern, mit den Unterstützern im Projekt aber auch nach innen als Band oder Label, was Ziele sind und wie sie umgesetzt werden können.” - (Andreas Bischof)

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